Kochbuch 07 – Wir essen Eis…

Ich fühle mich ausgelaugt und kann nicht mehr. Der Kampf kostet mich alles und ich weiß nicht, ob ich ihn durchhalte. Drei Monate durften wir uns nicht sehen und
vergangenes Wochenende war es dann endlich wieder möglich – aber auch wieder nicht. Denn der, den ich da gesehen habe, war nicht mein Walid.

Es zehrt an mir, dich so gesehen zu haben. Was sie mit dir machen und nichts daran ändern zu können – dich nicht dort heraus holen zu können, macht mich fertig.
Wir trafen uns wie verabredet im Eiscafe. Doch nicht wie verabredet alleine, sondern es war die Freundin deiner Mutter dabei.

Sie darf das nicht. Das weiß ich. Vor unserem Treffen beschäftigten mich Gedanken darüber, dass ich mich so genau wie möglich an die Vorgaben und Vereinbarungen halte, die deine Mutter und ich vor Gericht getroffen hatten. Zwar hätte ich sagen können, dass das nicht den Vereinbarungen entspricht aber die Gefahr das Treffen damit bereits von vornherein torpedieren zu können, erschien mir zu hoch. Also habe ich mich auf das Wesentliche konzentriert: unser Treffen.

Ich nahm dich zur Begrüßung in den Arm aber statt der freudigen und herzlichen Begrüßung, die ich von dir im Gegenzug auch gewohnt war und erwartet hatte, erschienst du mir ängstlich, erschöpft, gestresst und abwesend. Du warst nicht auf mich zugerannt, wie du das sonst immer getan hattest. Du nahmst einen Stuhl und setztest dich darauf. Immer unter Beobachtung der Freundin deiner Mutter und auch du suchtest die ganze Zeit ihren Augenkontakt zu halten, versichertest dich dauernd über ihren Blick, dass du alles richtig machst.

Als ihr euch hingesetzt hattet, du zogst langsam den Stuhl mir gegenüber heraus und klettertest auf ihn, versuchte ich ein wenig Small-Talk anzufangen und fragte dich, wie es dir geht und wie es in der Schule sei. Statt in deiner üblichen gesprächigen Art mit einem Wasserfall von Geschichten zu antworten, antwortetest du sehr abgehackt und einsilbig.
Die ganze Zeit hieltest du den Blick zur Freundin deiner Mutter, um sicher zu gehen, dass du dich nicht falsch verhältst und hofftest, dass sie deine Unterhaltung, deine Worte mit mir billigt. Sie nickte. Als ich fragte, ob du dich freust hier zu sein, antwortetest du nicht und auf meine Ankündigung, dass wir uns das kommende oder das darauf folgende Wochenende wiedersehen würden, fragtest du mich unsicher, als ob du nicht daran glaubtest, “Echt?”.

Es schaltete sich die Freundin deiner Mutter ein und erinnerte mich harsch daran, dass ich zum Eisessen mit dir da sei. Sie guckte darauf wieder dich an. Ich bat sie, sich bitte zurückhalten. Sie antwortete darauf schnippisch und mit rauem Tonfall, den sie über das ganze Treffen hielt, wann immer sie etwas sagte, und behauptete sie sei neutral.
Ein Eis lehntest du zunächst ab und sagtest, du möchtest keines. Das wunderte mich sehr und ich fragte warum nicht. Du blicktest wieder zur Freundin deiner Mutter, die dir mit ihrem Blick bedeutete, dass es in Ordnung ist. Du sagtest, du möchtest eine Kugel Vanille, was unüblich war, weil du bisher immer eine der Kinderportionen aus dem Menü gewählt hattest. Doch du bliebst bei der einen Kugel Vanille.

In meinem Rucksack hatte ich an diesem Tag eine Überraschung für dich dabei. Als ich dir das sagte schautest du endlich mich und darauf meinen Rucksack an. Nach einer solchen Ankündigung warst du bisher nicht mehr zu halten gewesen und hattest meinen Rucksack unaufgefordert aufgerissen und nach der Überraschung geschaut – heute nicht. Der Rucksack lag neben mir auf dem Stuhl und ich erwartete, dass du wie gewohnt aufspringst und ihn auf deine Art vorfreudig fast auseinanderreißt, wie ich es so gerne sehe. Dein Blick war aber nun fest auf den Rucksack gerichtet und ich freute mich, endlich deine Aufmerksamkeit wiederzuhaben. Da merkte ich, dass du doch irgendwo noch da drin bist.

Ich fragte dich, ob du dir vorstellen kannst, was die Überraschung wohl sein könnte und gab dir den Hinweis, dass es etwas mit Fußball zu tun hat. Nach deiner ersten Vermutung, dass es ein Ball ist, was es aber nicht war, öffnete ich, ganz langsam und die Spannung steigernd, den Rucksack und schaute dabei zu, wie du dich vor Spannung über den Tisch beugtest, um zu sehen, was ich aus dem Rucksack holen würde.

Es war ein Heft. Darin aufgeführt waren alle bekannten Weltspieler und ihre Tricks und Beschreibungen.
Zwischenzeitlich hattest du deinen Blick wieder zur Freundin deiner Mutter gewandt und ich fragte dich, weshalb du denn nur sie anschaust.
Wieder fühlte sie sich hiervon angegriffen, fauchte ich solle dich sie anschauen lassen und grinste dich darauf künstlich an.

Ich blätterte in dem Heft und suchte deinen Blick. Du schautest vorsichtig in das Heft und als ich sah, dass du herein schautest, wollte ich mich mit dir über die Tricks der unterschiedlichen Spieler unterhalten. Ich wusste natürlich, dass du sie kanntest aber du verneintest alle meine Fragen dazu. Ich fragte, ob du schon von diesem oder jenem Trick gehört hattest und ich merkte, dass sich dein Blick wieder senkte. Selbst bei Spielern, von denen ich wusste, dass du sie kanntest, verneintest du und ich musste dich erst darauf hinweisen, welche Trikots sie trugen. Du trugst zu dieser Zeit sogar die Trikots der Spieler nach denen ich dich gefragt hatte selbst abwechselnd, wenn du bei mir übernachtetest.

Ich zeigte auf die Namen die an den Bildern standen, doch du warst zu gestresst, um sie zu lesen. Auf der Innenseite des Einbandes dieses Heftes, hatte ich dir handschriftlich einen Satz aus einer Geschichte über Lionel Messi notiert, die du oft über ihn erzähltest. Erinnerst du dich?

Du sagtest immer schon, dass du ein großer Fußballer wie Messi werden willst, dass aber, weil du ein wenig zu kurz bist, niemand an dich glaube. Du erzähltest, dass an Messi auch niemand geglaubt habe. Selbst seine Eltern nicht. Nur seine Großmutter. Du fragtest mich oft, ob ich an dich glaube und ich sagte dir immer, dass ich das von ganzem Herzen tue. Also schrieb ich dir das als Widmung auf die Innenseite des Heftumschlags.

Messis Oma hat an ihn geglaubt, ich glaube an dich! Baba 🙂

Wir haben uns auch Briefe geschrieben. So wollte ich mit dir schreiben üben. Du wolltest aber weder den Satz, noch den Brief lesen, der mit in dem Heft war. Und du konntest dich auch nicht an diese Geschichte über Messi erinnern, die du immer erzählt hattest. Das Eis, was in der Zwischenzeit serviert worden war, schlangst du in dich hinein und ich musste dich während unseres Treffens mehrmals darauf hinweisen, doch etwas langsamer zu essen.

Ich versuchte weiter, mich mit dir über das Thema Fußball zu unterhalten, weil ich wusste, dass ich dich darüber erreichen würde, dass das mein Zugang zu dir war. Ich fragte dich nach dem Champions-League-Finale und obwohl dein Blick weiter auf den Becher gerichtet blieb, kam endlich eine Antwort und wir konnten ein wenig entspannter darüber sprechen, fast plaudern.

Ich fragte dich, ob du dich an das Finale der Weltmeisterschaft des vergangenen Jahres erinnerst, was wir gemeinsam im Public Viewing geschaut hatten und merkte, dass du dich etwas entspanntest. Du bejahtest und ich fragte, ob du dich an Paris erinnerst und ob du noch wüsstest, weshalb wir dagewesen waren. Ich musste dir erst ein Foto von uns auf meinem Handy zeigen, damit du dich erinnerst, dass wir gemeinsam auf dem Fußballplatz von Paris gewesen sind und deine Augen strahlten wieder für einen kurzen Moment, wie ich es von dir kannte.

Während ich auf der Suche nach dem Foto war, lief automatisch ein Video an, in dem wir beide zu sehen und zu hören waren und es war zu hören, wie glücklich wir beide da gewesen sind. Du batest mich leise “mach bitte weg” und ich legte das Handy weg. Die Verunsicherung und Beunruhigung war dir anzusehen und während du mich ansahst, bemerkte ich, dass der Blick der Freundin deiner Mutter auf dich gerichtet war.

Sie holte ihr Telefon hervor und in dem kurzen Moment in dem du merktest, dass sie nicht schaute, hast du mich angelächelt und mir mit dem linken Auge zugezwinkert. Es war ein weiterer schöner Moment, in dem ich spürte, dass du doch noch da bist. Er war aber so schnell wieder vorbei wie er angefangen hatte und du richtetest deine Aumerksamkeit wieder darauf, dein Eis schnell zu essen. Allerdings berührtest du mit deinem Fuß unter dem Tisch noch unauffällig mein Schienbein.

Ich sah, dass das Trikot, was du an hattest, etwas verrückt war, also beugte mich zu dir über den Tisch, um es dir zurecht zu rücken. Als ich dich berührte fingst du jedoch so an zu zittern, dass ich es ließ. Du schautest zur Freundin deiner Mutter und signalisiertest ihr, dass du nichts dafür konntest.

Sie hatte derweil angefangen viel auf dem Handy zu tippen und als du das Gefühl hattest unbeobachtet zu sein, zwinkertest du mir ein weiteres Mal zu. Nun drehte sie sich mit dem Handy zu uns, so dass wir im Aufnahmebereich ihrer Handykamera waren. Du senktest den Blick wieder sofort auf deinen Becher und ich nahm wahr, dass die kurze Entspannung wieder gewichen und du wieder sehr gestresst warst. Sie hatte aufgehört zu tippen, hielt aber ihr Handy immer noch hoch. Hier musste ich das treffen beenden. Ich wollte dich nicht weiter diesem Stress aussetzen und wollte nicht, dass sie neben der Tatsache, dass sie nicht anwesend sein durfte, uns auch noch filmt.

Sie fragte dich, ob du mit deinem Eis fertig seist und wir zahlten. Vielleicht erinnerst du dich, wir hatten eine Spardose für dich angelegt, mit der du dein eigenes Eis bezahlen wolltest, wenn du bei mir warst. Als die Rechnung kam, fragte ich dich im Spaß, ob ich das denn nun aus meiner Tasche oder aus deiner Spardose bezahlen solle und du lachtest. Endlich. Du lachtest und hast mich gebeten, es zu übernehmen.

Als wir uns voneinander verabschieden sollten, wolltest du gehen, ohne mich zu umarmen und ich fragte, ob ich keine Umarmung bekomme. Du kamst, ich küsste dich auf die Wange und flüsterte dir die Frage ins Ohr, was denn los sei. Du flüstertest auf arabisch zurück “ich kann nicht”. Du gabst mir dann auch einen Kuss, drücktest mich ganz fest und ich sah dich mit ihr weg gehen.

Was soll ich nach einem solchen Treffen empfinden?

Ich bin schockiert und angewidert.
Es schockiert mich, dich so gesehen zu haben. Ich war noch tagelang wie gelähmt nach diesem Treffen und fühle mich so machtlos.
Ich bin angewidert davon, wie sie ein Kind, ihr Kind so verängstigen kann, nur um mich über dich zu treffen.
Sie schafft es. Sie macht dich kaputt, um mich zur Aufgabe zu zwingen.
Jetzt habe ich die Verantwortung darüber nachzudenken, ob ich weiter kämpfe und riskiere, dass sie dich weiter kaputt macht, wenn die Justiz weiter nicht entscheidet. Weiter kämpfen, womöglich weitere Jahre, um dir zu zeigen, dass ich um dich kämpfe. Auch wenn du das jetzt noch nicht siehst aber irgendwann wirst du es sehen. Irgendwann wirst du merken, dass dein Vater um dich kämpft und dich ihr nicht einfach überlässt. Weiter kämpfen und hoffen, dass du, wenn nicht per Beschluss, eines Tages von selbst sagst, dass du es bei ihr nicht mehr aushältst.
Oder ob ich aufhöre zu kämpfen… dich ihr überlasse. Ihr und ihrer verqueren Denkweise. Dir das Gefühl geben, dich fallen gelassen zu haben, obwohl ich so lange gekämpft habe aber dich dafür nicht mehr diesem Konflikt aussetzen müssen, dich nicht mehr zerreißen, zwischen zwei Elternteilen, die du deines Alters wegen noch lieben musst, weil du nicht anders kannst.

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