Wollsocke

Die vergangenen Tage haben mich, warm und sonnig wie sie waren, wie so viele andere Leute hinaus ins Freie gezogen, um mich an den wärmenden Strahlen der Sonne zu erfreuen.

An solchen Tagen werden bestimmte Accessoires, wie gute Kopfhörer, zu unerlässlichen Begleitern!

Nicht nur, weil ich gerne Musik höre, während ich unterwegs bin, sondern weil sie mir hauptsächlich als Schutz vor verbaler Luftverschmutzung im öffentlichen Personennahverkehr dienen.

Vergesslichkeit kommt mich in diesem Zusammenhang leider immer teuer zu stehen, wie ich auch am vergangenen Wochenende wieder feststellen musste, als ich die Wohnung verließ und meine Ohrstöpsel nicht bei mir hatte.

Anstatt zurückzugehen und sie doch zu holen, ging ich weiter, weil ich ja zu Fuß unterwegs war und wollte mich, ganz naiv, an den Geräuschen der Natur erfreuen, statt diese mit lauter Heavy Metal Musik zu übertönen.

Wie sehr ich das bereuen sollte, sollte sich etwas später herausstellen.

Kaum war ich an meinem Ziel angekommen, setzte ich mich auf eine freie Bank. Auf der Bank daneben zwei Herren, die in eine Diskussion vertieft zu sein schienen und ich überlegte noch, ob ich nicht lieber weiter gehen und mich woanders hinsetzen soll. Auch hier habe ich die falsche Entscheidung getroffen und mir selbst auferlegt, mich nicht so anzustellen.

Ich holte das Buch heraus, was mich in fantastische Welten tragen, mir von schwertschwingenden Helden, sprücheklopfenden Magiern und Amazonen, die noch nie ein Patriarchat erlebt haben, erzählen sollte.

Doch welch Pein! Das, was ich zunächst als Diskussion vermutete, war ein lauter, unablässiger Monolog eines Schreihalses und seinem nickenden und zustimmenden Zuhörer.

Wegen meiner sprücheklopfenden Nachbarn, die parolenschwingend beklagten, was für ein Misthaufen Europa doch ist, war ich also nicht dazu in der Lage auch nur eine Zeile zu lesen, ohne aus der Welt gerissen zu werden, in die ich so gerne eintauchen wollte.

Stattdessen durfte ich mir ein Lamento darüber anhören, wie schwer es jene in unserer Gesellschaft haben, die ihre Meinung aussprechen. Ihnen werde ja sogleich der Mund verboten, wenn sie nur wagten zu sagen, wo die wahren Probleme liegen und wer die tatsächlichen Schuldigen für alles Unheil sind.

Widerwillig hörte ich mir an, wie „die Flüchtlinge“ und „die Musilme“ daran (an allem) schuld sind. Ein Blick auf den Laudator ließ mich vermuten, dass er wohl einen Schuldigen dafür sucht, dass er an einem Tag, an dem 25°C gemessen sind, in Wollsocken und Lederimitat-Hausschuhen auf einer Bank sitzt und an seinem Dampfapperat ziehen muss. Der arme. Allerlei illustre Lösungsansätze von dem erklärten Nichtwähler waren selbstverständlich auch direkt zur Hand.

Man möchte doch bitte aufhören „denen da unten“ sein Geld zu schicken. Die wüssten nicht, was sie damit anstellen sollen. Man möge sich doch mal die ganzen Flüchtlinge ansehen. Sie behaupten, sie haben kein Geld, haben aber alle ein Handy. Wie das und noch so manches anderes, garniert mit menschenverachtendem Wortausfluss, denn wohl zu erklären sei, frage er sich und seinen jubilierenden Zuhörer.

Ich habe wirklich keine Ahnung, wie lange ich versucht habe, mich auf mein Buch zu konzentrieren und nicht hinzuhören.

In dieser Zeit habe ich sehr mit wachsendem Druck auf meinen Kiefer und dem Verlangen gekämpft, diesem Menschen zu sagen, er möchte seine Ansichten vielleicht nochmal überprüfen. Vielleicht mit den Worten „die Nazi-Scheiße kannst du dir stecken, Arschloch“.

Mehrere Punkte hielten mich davon ab:

1. ich würde ihm in die Karten spielen, mit seiner Ansicht, er dürfe seine Meinung ja nicht äußern,

2. wir waren in einem Park, da kann leider jeder so laut Verbaldiarröh verbreiten, solange sie damit niemanden einschränkt,

3. ich habe einige Tage zuvor tatsächlich in einer anderen Umgebung, die weniger öffentlich war, schon einem, der „seine Meinung äußerte“, mal meine Meinung gesagt und dabei die Contenance verloren. Das ist mir bis heute peinlich und ich ärgere mich darüber, dass ich so an die Decke gegangen bin. Wäre es wenigstens gegenüber jemandem gewesen, der intelligent genug ist, meine Kritik als solche anzunehmen aber …

4. das geht ins Leere,

5. zwingt mich keiner, mir das anzuhören.

Ich bin dann, als ich nicht mehr konnte, aufgestanden und weggegangen.

Problem: wie bekommt man diese Scheißeschleudern wieder dazu, dass sie diesen Dreck nicht mehr rumposaunen und dabei auch noch das Gefühl haben, sie dürfen ja nirgends ihre Meinung kundtun?

,,Das wird man wohl noch sagen dürfen!”

Denn der, der in der Situation seine Meinung für sich behalten hat, war ich.

Muss ich Intoleranz tolerieren?

Mein Buch habe ich an dem Tag nicht mehr weiterlesen können.

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