Egozentrik

Ich bin wohl das, was man heute so schön als „Migrantenkind“ umschreibt.

Also unter anderem – derzeit ist das allerdings das Spiegelbild, was mir im öffentlichen Leben vorgehalten wird.

Was bin ich eigentlich noch?

Geboren 1979 in Aachen, und ebenda aufgewachsen.

Abi auf dem zweiten Bildungsweg gemacht, Wehrdienst geleistet, Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration abgeschlossen und auf dem Gebiet 15 Jahre als System- und Netzwerkadministrator gearbeitet.

Ich bin Erstgeborener von fünf Kindern meiner Eltern, die aus den besetzten Gebieten Palästinas stammen.

Ich bin sprachenvernarrt und literaturverliebt.

Ich bin vorsichtig geworden mit dem, was ich sage und wie ich es sage.

Ich bin jemand, der gerne auch mal um Entschuldigung bittet, wenn ich die Gefühle eines anderen verletzt habe.

Ich bin Weltenbürger und Aachener – mit Leib und Seele.

Ich bin eine körperliche wie geistige Symbiose aus Orient und Okzident.

Ich konsumiere Bücher, Filme und Serien.

Ich bin Nerd und sammle Spiele und Konsolen und trage das gerne nach Außen.

Ich bin Musiker, zumindest versuche ich mich manchmal als solcher.

Ich bin Musik- und allgemein Kunstliebhaber und trage auch das gerne auf Band-Shirts nach Außen.

Ich erforsche und zeige gerne Welten – nah wie fern.

Ich bin Pazifist und liebe … und liebe.

Ich bin handwerklich völlig unbegabt.

Ich bin ein Helfer bei allem, was ich denke zu können.

Ich bin gerne verständnisvoll und will verstanden werden.

Ich bin privat – also niemand, der „nichts zu verbergen“ hat und gehe mit meinen Daten sparsam um.

Ich bin wohl als „links-grün-versifft“ zu bezeichnen – und das ist auch gut so!

Ich bin Humanist, umweltbewusst, naturliebend.

Ich bin ein glühender Unterstützer der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel. Auch wenn ich sonst nichts an ihrer Politik oder Partei finden kann.

Ich bin beschämt, dass viele Flüchtlinge und Migranten ihr Bild, und auch das Bild aller hier bereits lange lebenden Migranten schädigen.

Ich bin geduldig.

Ich bin intolerant gegenüber Intoleranz.

Ich bin glücklich darüber, hier geboren worden zu sein und nicht in die Slums von Indien, wo ich mich einer Kaste unterordnen muss.

Ich bin glücklich darüber, hier geboren worden zu sein und nicht in Bangladesch, wo ich höchstwahrscheinlich keine Kindheit gehabt hätte, sondern wohl in einer Fabrik hätte arbeiten müssen.

Ich bin glücklich darüber, hier geboren worden zu sein und nicht in der Heimat meiner Eltern, weil ich oder eines meiner Geschwister sonst wahrscheinlich in unserer Jugend an der Intifada teilgenommen und womöglich getötet worden wären.

Ich bin glücklich darüber das Glück gehabt zu haben in eine Umgebung geboren worden zu sein, in der ich die Option hatte kostenlos Bildung anzunehmen und diese, in meinen begrenzten Fähigkeiten genutzt habe.

Ich bin glücklich darüber, dass ich nicht klage während es mir gut geht und andere Menschen, denen es bedeutend schlechter geht als mir, mehr lachen und fröhlicher sind, als die Menschen um mich, die das selbe Glück hatten.

Ich bin glücklich darüber, dass ich zum Arzt gehen kann, wenn ich krank bin, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen, ob ich das bezahlen kann.

Ich bin glücklich darüber, dass ich die Zeit und Muße habe, mir über mein Glück Gedanken zu machen und mich darüber zu freuen.

Ich bin glücklich darüber, sehen zu können, dass ich so viel Glück habe.

Ich bin all das und werde am Eingang eines Ladens wegen des arabischen Namens in meinem Ausweis nicht eingelassen.

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