Alles was rechts ist

Ich glaube, ich bin einfach verblüfft. Nicht mal enttäuscht oder verärgert, sondern einfach überrascht und verblüfft.

Verblüfft darüber, dass diese Generation, mit der ich zur Schule gegangen bin, so denkt.

Was ist da passiert?

Wir sind im selben System aufgewachsen. Hattet ihr nicht auch Grundschullehrerinnen und -lehrer, die euch Verständnis und Offenheit gelehrt haben oder war das einfach mein Glück?

Hattet ihr nicht auch im Kindergarten schon Kinder aus anderen Ländern, mit denen ihr zusammen gespielt habt? War das damals ein Problem für euch? Oder seid ihr in Nationalitäten und Ethnien aufgeteilt worden? Ich weiß, dass ich im Kindergarten schon einen deutschen besten Freund hatte und wir keine Unterschiede sahen – außer dass er meinen Namen nicht richtig aussprechen konnte aber das war mir schon als Kind ziemlich egal.

Falls ihr anderes erlebt habt, lasst es mich bitte wissen, es würde so vieles erklären. Wie war das im Osten? Als ich im Kindergarten war, gab es da doch noch dieses Land, was sich viele, die von dort sind, zurück wünschen, wo Gleichheit unter den Menschen gelehrt wurde.

Habt ihr, dort wie hier, in der Schule nicht auch gelernt, dass die Klassenkameradin mit der dunklen Haut und der Klassenkamerad, der kein Schweinefleisch isst, durch die selbe Pubertät gehen muss, wie ihr auch?

Oder haben die bei euch im Biologieunterricht in einen anderen Raum gehen müssen, wo sie darauf vorbereitet werden euch die Arbeitsplätze und die Frauen wegzunehmen? Vielleicht erinnere ich mich ja auch einfach nicht richtig.

Ich erinnere mich, dass es bei uns in der Grundschule Unterricht für griechische Kinder gab – das war allerdings die einzige Zeit, wo Kosta und Irini und Evangelila mal für eine Stunde in eine andere Klasse gegangen sind. Ich brauchte auch nicht am Religionsunterricht teilzunehmen.

Kommt daher vielleicht schon der Neid?

Musstet ihr nicht, genau wie ich auch, im Geschichtsunterricht durch die endlos wirkenden Wiederholungen das dritte Reich betreffend? Oder haben sich die Ausländer eurer Schulklassen vorne zum Lehrer hingestellt und euch mit erhobenem Zeigefinger verantwortlich dafür gemacht, was eure Großeltern gemacht haben?

Ich weiß, dass ich, genau wie meine Mitschüler auch, gestöhnt und die Augen verdreht habe, wenn wir wieder mit diesen Dingen betankt wurden.

Aber es war und es ist wichtig, dass wir das wissen – offensichtlich.

Haben wir, die wir aus anderen Ländern stammen, oftmals aber hier geboren und aufgewachsen sind, bessere Chancen gehabt als ihr, die ihr von hier seid? So, wie ich das mitbekommen habe, waren die Voraussetzungen überall so gleich wie möglich – zumindest in der Schule.

Meine Lehrer haben mich immer ermutigt mein Potenzial zu nutzen, weil sie es gesehen haben. Wenn ich es nicht tat, war das meiner eigenen Dummheit geschuldet und nicht meiner Mitschüler – egal woher die waren.

Hatten diese Menschen, die bei mir so viele Fragen und so viel Verwunderung aufwerfen, keine Förderung als Kinder oder woher kommt dieser Neid und diese Missgunst? Warum ist da dieser Hass, der so spontan Zustimmung zeigt, wenn sich nur einer traut ihn auszusprechen?

Warum platzte dieses Gift damals aus diesen Menschen, als der Widerling Sarrazin seine menschenfeindlichen Thesen veröffentlichte? Woher diese spontane Zustimmung für jemanden, der so offensichtlich ein kranker Missgünstling ist und dringend in Therapie gehört und Hilfe braucht? Und warum von diesen Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin, von denen ich eigentlich anderes gedacht hatte?

Als mir meine Schwestern früher berichteten, sie würden wegen der Tücher, die sie auf ihren Köpfen tragen angefeindet, lachte ich und glaubte ihnen nicht.

Ich hatte bis dahin irgendwie nie vergleichbare Erlebnisse. Im Gegenteil, waren die Menschen mit denen ich zu tun hatte, immer interessiert an mir und meiner Herkunft. Das war für mich die Norm, das war für mich meine Heimat. Hatte ich einfach nur Glück?

Aber es dauerte nicht lange und ich musste meine Erfahrung bald erweitern.

Stände neuer Parteien, die Bilder mit durchgestrichenen Moscheen als Piktogramm zeigten, waren plötzlich in meiner Stadt zu sehen. Meine Stadt, von der ich dachte, dass es so was hier nicht gibt.

Ich erinnere mich deutlich, dass ich zu einem der Leute an einem solchen Stand ging und fragte, ob das denn ernst gemeint sei. Er sagte, es sei absolut ernst. Ich ging – sprachlos.

Als diese Leute mehr wurden und sich mehr trauten ihr menschenverachtendes Gedankengut zu verbreiten, hoffte ich, man gibt ihnen kein Forum dafür. Ich wünschte mir, dass sie einfach niemand zu Wort kommen lässt, weil ich ahnte – nein, ich wusste, wie einfach sich Hass und durch Angst verbreiten lässt, was für fruchtbaren Boden Angst für Hass bietet und ich befürchtete, es würde schlimmer werden.

Es wurde schlimmer.

Man ließ sie reden und man hörte zu – und an den Stellen, wo etwas hätte getan werden können, wurde nichts getan. Die Medien verbreiteten das Gift und die Menschen gaben dafür Geld und Aufmerksamkeit und schluckten es. Erst skeptisch, später mit immer mehr Akzeptanz. Angst lässt sich sehr leicht verbreiten, wenn alle die davon profitieren zusammen arbeiten und alle, die Angst bekommen sollen immer brav hinsehen.

Der Hass kam zu uns in die Häuser, auf unsere Fernseher und es wurde immer deutlicher, dass der Fokus auf eine Gruppe Menschen eines bestimmten Glaubens gerichtet wurde.

Ich begann mich zu fragen, und tue das immer noch, wann es so weit ist, dass ich einen Sichelmond auf der Brust tragen muss und die Politik – und alle, denen ich diese Befürchtung gegenüber formulierte – lächelten abfällig. Ließen sie reden. „Die nimmt eh niemand ernst“.

In solchen Zeiten gibt es da jene, die in dieser Atmosphäre der Angst die Ängstlichen um sich scharen und ihnen von einer „Alternative“ berichten, wenn man nur die Schuldigen raus nimmt, die schnell und einfach genannt sind. Gab es alles schon.

Alles was nötig ist, ist sich auf alte Werte konzentrieren, die schädlichen Elemente entfernen und es wird alles wie früher… als alles besser war. Gab es alles schon.

Warum, das frage ich mich immer wieder, fallen diese Menschen, mit denen ich damals zur Schule gegangen bin, die die gleiche Bildung erfahren haben wie ich, auf diese Blender herein? Warum „bilden sie sich ihre Meinung“, obwohl wir doch alle in der Schule gelernt haben, dass da die wahren Hassprediger und ausschließlich jene schreiben?

Woher kommen diese Schreier, die ihre Angst verbreiten? Wir waren doch zusammen in der Schule, warum habt ihr plötzlich Angst vor mir und warum wollt ihr, dass alle anderen auch Angst haben?

Ich bin sprachlos, dass meine Schwestern für Dinge verantwortlich gemacht werden, für die sie nichts können, nur weil sie sich Tücher um den Kopf wickeln.

Ich bin sprachlos darüber, dass wir damals scheinbar doch nicht lange genug diesen nervigen Stoff durchgekaut haben, über den ich im Geschichtsunterricht mit all meinen deutschen und ausländischen Mitschülern zusammen gestöhnt und die Augen verdreht habe. Hatten wir doch alles schon.

Bei allem – was rechts ist… zieht eure Grenzen gerne woanders hoch. Ich liebe Deutschland.

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