Neunzehn-Iksundachzig

Ich stelle mir oft vor, wie es wäre, könnten wir in die Vergangenheit reisen und den Menschen von unseren Errungenschaften und dem heutigen Leben erzählen. Sagen wir in den Menschen in den 1980er-Jahren.

Damals haben wir natürlich alle gedacht, dass die Menschheit im Jahr 2019 schon längst nicht mehr auf dem Boden unterwegs ist, sondern die dritte Dimension auch schon für sich erobert hat, aber das belassen wir jetzt mal im Reich des Science Fiction. Zeitreisen sind aber möglich. Also machen wir mal kurz eine.

Spiele ich mit dem Gedanken, dass ich beispielsweise eine Unterhaltung mit meinem Vater aus den 80ern habe, als er gerade etwa so alt wie ich, also um die 40 Jahre alt war, fragt er mich sicher zuerst einige Dinge.

Ja, den kalten Krieg haben wir alle unbeschadet überstanden. Das ist gut gegangen. Der Kommunismus als System hat sich nicht durchgesetzt, Deutschland ist wieder geeint, die Staaten, die lange Zeit gehungert haben, hungern heute auch noch, aber aus anderen Gründen und es sind noch einige hinzugekommen.

Wir haben keine Grenzen mehr in Europa. Zumindest keine, an denen wir kontrolliert werden. Wir können innerhalb Europas reisen, wie es unser Geldbeutel zulässt. Die Grenzen in den Köpfen sind allerdings nicht nur geblieben, sondern werden immer wieder aufgefrischt und höher und breiter.

Auch wenn wir uns in so vielen Feldern weiter entwickelt haben, gibt es immer noch nicht nur furchtbare Armut und Hunger auf der Welt, sondern unglaubliche und unfassbare Dummheit und Rücksichtslosigkeit. Allen Bemühungen zum Trotz.

Bei den Autos, nach denen er sicher auch fragen würde, wäre meine Antwort wohl, dass Autos immer noch auf Straßen unterwegs sind. Es werde sich zwar auch da viel getan haben, aber es werde auch hier zum größten Teil am Unwillen der Menschen scheitern, sich auf andere Dinge einzulassen.

Ja, würde ich antworten. Es ist, wie ihr immer gesagt bekommt. Die fossilen Brennstoffe werden sich dem Ende zuneigen, das Klima wird sich verändern und die Weltgemeinschaft wird nicht genug getan haben, um das rechtzeitig zu verhindern. Regelmäßige und frequentere Katastrophen und Folgen davon werden tatsächlich immer noch zu Äußerungen von Leuten an hohen Positionen führen, die behaupten werden, das sei alles Fantasterei und habe mit irgendwelchen Auswirkungen auf die Atmosphäre nichts zu tun. Es sei Zufall.

Ich würde antworten, es werde schon sehr viele und auch sinnvolle und praktikable Alternativen zur Energiegewinnung geben, doch die Menschen seien zu bequem gewesen, diese anzunehmen oder sich dafür umzugewöhnen. Es werde Jahrzehnte andauernde Diskussionen darüber gegeben, wer nun Windräder vor seiner Haustür stehen haben will und wie weit die davon entfernt sein müssen.

Es wird im Jahr 2019 immer noch Kohle subventioniert und verbrannt werden, obwohl es alle besser wissen werden und nicht zuletzt werden immer noch Autos mit Verbrennungsmotoren gebaut werden.

Das Schlimme aber, würde ich sagen, ist, dass die Menschen sie auch weiter kaufen würden. Und das nicht wenig.

Während die Menschen alle darüber klagen werden, dass sie weniger Geld zum Leben haben, die Lebensmittel aber alle zu Dumping-Preisen verkauft werden und die Folgen daraus uns von einem „Lebensmittelskandal“ in den nächsten navigieren, werden die Menschen im Jahr 2019 daran festhalten wollen, dass jeder Haushalt mindestens ein Auto haben muss.

Ja, würde ich sagen, mindestens.

Es werde auch schon elektronisch fahrende Autos mit Batterien geben, doch auch hier werde die Technologie und die Entwicklung lange gebremst worden sein, von denen, die natürlich weiter ihr Öl verkaufen wollen und auch diese Elektrofahrzeuge werden das Problem nur von einer Seite angehen.

Damit nicht genug, würde ich ihm sagen. Die Verlagerung der Prioritäten auf Statussymbole werde noch sehr viel weiter in der Gesellschaft verbreitet. Das Auto werde hierfür der Platzhalter für die breite Masse. Nicht nur, dass alle mindestens ein Auto haben werden müssen, sondern das muss dann auch etwas hermachen. Der praktische Wert eines Autos werde in Zukunft immer weiter in den Hintergrund rücken, würde ich ihm erzählen.

Die Straßen werden voll mit sogenannten „SUVs“ und völlig überproportionierten Sportwagen sein, sowohl vom Volumen, als auch von der Leistung an jeder Effizienz vorbei gebaut. Sie werden die Straßen verstopfen und die Leute werden sie kaufen, einfach um sie zu haben.

Ich würde ihm erzählen, gingest du im Jahr 2019 zur Nachmittagszeit zu einer beliebigen Schule, glaubtest du anhand der Autos, mit denen die Kinder von der Schule abgeholt werden, dass an diese Schule wohl die Kinder von lauter Landwirten gehen müssen.

Im Jahr 2019 scheint niemand mehr seinen Kindern den Weg zur Schule zumuten zu wollen. Der Großteil der Menschen, selbst jene, die ihre Kinder auf eine Schule schicken, die zu Fuß von der Wohnung in kurzer Zeit erreichbar ist, fahren ihre Kinder dort hin. Warum? Ich kann es dir nicht sagen, würde ich antworten. Mich wirst du immer selbstständig zur Schule schicken, würde ich ihm aus für ihn näherer Zukunft berichten.

Ausreden dafür, warum die eigenen Kinder täglich gefahren werden müssen, werden aber immer schnell erdacht sein.

Was die Stadtplaner in eurer Zeit schon vorhergesehen haben, wird eintreten: die Straßen werden voller, die Staus länger, der Stress mehr, die Parkplätze weniger, die Kosten für Instandhaltung und Wartung höher, von den Toten und Schwerverletzten durch Unfälle ganz zu schweigen. Denn mehr Platz werden wir nicht haben, 2019.

Nein, würde ich sagen, die öffentlichen Verkehrsmittel werden ihren Betrieb nicht eingestellt haben. Allerdings wird die absurde Situation entstanden sein, dass es sich tatsächlich oft mehr rechnet, mit dem eigenen Auto zu fahren, statt den Bus oder die Bahn zu nehmen.

Ja, würde ich sagen, über die Privatisierung sprechen wir ein anderes Mal.

Und so werden wir 2019 eine paradoxe Situation haben, wo wieder zwei Seiten aufeinander zeigen und darauf warten, dass der andere den ersten Schritt geht. Alle genervt und gestresst vom täglichen Verkehr und der Suche nach Parkplätzen aber niemand bereit, den Ursprung seines Ärgers als solchen zu erkennen und zu meiden. Stattdessen beharrend auf die eigene Dekadenz.

Die Autofahrer werden sagen, sie fahren nicht Bus/Bahn, weil diese zu teuer sind und die Betriebe der öffentlichen Verkehrsmittel erhöhen stetig die Preise mit neuen Ausreden, weil niemand mehr ihre Dienste nutzt.

Und mittendrin werde ich dann sein, der immer wieder mit den Zähnen knirscht, wenn ein cholerischer Autofahrer lieber hupt, statt zu bremsen. Immer wieder versuchend, die Menschen in meiner Umgebung auf diese Dinge aufmerksam zu machen und immer wieder dafür den Stempel des Besserwissers aufgedrückt bekommen, der viel zu streng mit sich und allen ist.

Nein, keine Sorge, würde ich antworten. Davon lasse ich mich nicht ärgern. Ich weiß ja, dass sie nur zu faul sind etwas an ihrem Verhalten zu ändern und dass sie selbst wissen, dass sie im Unrecht sind. Ich würde sagen, dass ich mich nicht von meiner Linie abbringen lasse, so herablassen die auch klingen mag, und dass ich mich immer über jede und jeden freue, die sich nicht dem „machen doch alle so“ oder „was kann ich denn schon ändern“ hingibt. Die wird es nämlich auch noch geben.

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